Schreibblockaden

„Somebody was using the pencil.“

Essay-Schreiben im Wohnzimmer vom Freund in Hamburg-Schnöseldorf. Könnte der Max-Weber-Essay gewesen sein.

Das war Dorothy Parkers Antwort auf die Rüge ihres Redakteurs, wieder mal einen Artikel zu spät eingereicht zu haben. 

Meinen letzten Essay habe ich 9 Minuten vor endgültiger Abgabefrist online eingereicht. 

Dorothy und ich haben ein gemeinsames Problem. Es heißt „Schreibblockade“. Unter Studenten auch gerne „Prokrastination“. Obwohl das ja nicht wirklich dasselbe meint. Unter einer Schreibblockade würde man sich die Angst vor dem leeren Blatt vorstellen. Ich habe eher Angst vor dem Anfang der Lustlosigkeit, nachdem ich bereits etwas geschrieben habe. 

Eine schöne Phase ist die Recherche. Man geht in die Bibliothek, gibt online ein paar Stichworte ein, erstellt eine lange Literaturliste, speichert einen Haufen PDF-Dokumente in einem eigens für das Projekt angelegten Ordner, schleppt einen Stapel Wälzer nach Hause. Und da stehen sie dann. Reingucken tut man erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Wenn die Deadline schon gefährlich nahe rückt oder jemand anderes die Bücher angefragt hat und man sie also schnellstmöglich wieder loswerden muss. 

Vor einem Moabiter Café: arbeiten an meinem Jahrhundertwerk, dem Kinsey-Essay 

Und dann geht das Elend los. Man schreibt sich Stichworte aus dem Büchern heraus. Viel zu viele. Man verliert seine Fragestellung aus den Augen. Dann fallen einem die Augen zu. 
Man formuliert eine Einleitung. Um einem selbst die Richtung zu weisen. In den folgenden Tagen, Wochen, Monaten schreibt man die Einleitung circa 500 Mal um. Weil sich die Richtung immer wieder ändert. 
Man versucht, eine Struktur zu erstellen. Dieses Mal wird alles anders, redet man sich ein, dieses Mal werde ich jeden Tag und mit einem Plan an den Essay herangehen, einfach durchziehen, dieses Mal, ja, da wird es flutschen, im Kopf habe ich es ja schon beinahe geschafft.
Und dann zieht sich der Prozess doch jedes Mal wie Kaugummi. 

Falls es noch nicht offensichtlich war: Ich stecke gerade in Stufe 2 (dem eigentlichen Schreibprozess) mit einem Essay über kulinarische Diplomatie, bei einem anderen über die RAF hat Stufe 1 eben erst begonnen (die Recherche). 
Zwei weitere Essays warten dieses Semester noch auf meine Attacke. Einer über Mata Hari und einer über irische Werbung für Tee (ich weiß: faszinierend, oder?). 

Warum nur will man einfach nicht arbeiten, selbst wenn das Thema interessant und man eigentlich schon weit gekommen ist? Komischerweise bringe ich sonst gerne Dinge zu Ende. Fast leere Shampooflaschen ausdrücken, den letzten Rest Erdnussbutter aus dem Glas kratzen, das letzte Blatt eines Blocks beschreiben... dieses Gefühl liebe ich. Ich werfe auch gerne leere Verpackungen weg, echt wahr. Nur bei den Essays bin ich kein Finisher. Da ist mein Elan am Anfang immer größer als kurz vor dem Ende. 

Es gibt viele schlaue Tipps für diese Situation. Die Pomodoro-Methode funktioniert ganz gut (25 Minuten konzentriert arbeiten, 5 Minuten Pause, dann nach einigen Durchgängen eine längere Pause). Auch der Trick des Autors Raymond Chandler klingt gut: Er steckte sich pro Tag bestimmte Zeiten ab, während derer er nichts tun durfte, außer zu schreiben. Er hätte auch an die Wand starren können – aber er durfte definitiv nichts anderes tun. 

Denn im Grunde laufen Prokrastination und Schreibblockade hier zusammen: die Angst vor dem Versagen paart sich mit der Ablenkung durch andere Aufgaben wie Wäsche machen; aber auch Essen, Internet, soziale Medien und Unterhaltung. Ach ja, und neuerdings auch Blogposts schreiben. Komischerweise geht immer genau das leicht von der Hand, was gerade nicht ganz oben auf der Tagesordnung steht. 

Prokrastination hat viel mit Perfektionismus zu tun, habe ich mal in einem Artikel in der New York Times gelesen. Aus Angst, den Essay sowieso nicht perfekt hinzukriegen, gucke ich lieber eine weitere Folge Mozart in the Jungle (was übrigens eine ganz hervorragende Serie ist). 

Ewig geht das natürlich nicht. Und wenn es dann ganz brenzlig wird, sind auf einmal auch Müdigkeit und Lustlosigkeit durch Panik und Stress ersetzt worden. So richtig zukunftsweisend ist meine momentane Methode also nicht. Die Ergebnisse scheinen mir zwar recht zu geben – aber zu welchem Pries? Entspanntes Arbeiten geht definitiv anders. 

Aktueller Aufbau: Schreibtischstuhl zu hart, Bett zu weich, vor dem Fenster Regenapokalypse

Mein französischer Kommilitone empfiehlt Kaffee. 
(Ich habe bei Matthew Walker (Why We Sleep) gelesen, dass man nach 12 Uhr mittags kein Koffein mehr zu sich nehmen sollte. Selbst wenn man schlafen kann: Es beeinträchtigt die Qualität des Schlafes.) 

Andere Kommilitonen schreiben Nächte durch. 
(Das würde mich persönlich wahnsinnig machen.) 

Der Freund schwört auf Mittagsschläfchen. 
(Danach kann ich direkt liegenbleiben.) 

Mein Dozent Paul meint, vor 9 Uhr könne man schon zwei Stunden arbeiten. Dann habe man ein besseres Gefühl für den ganzen Tag. 
(Ich möchte ihm entgegnen, dass ich, wenn ich auch eine Glatze hätte, mich nicht schminken, jeden Tag einfach Irgendwas anziehen und nicht versuchen würde, jeden Morgen eine halbe Stunde Yoga zu machen, auch früher an der Arbeit wäre. Aber wollte ich schon vor 9 Uhr zwei Stunden arbeiten, müsste ich spätestens um 6 Uhr aufstehen. Igitt.) 

Wenn überhaupt, hilft mir gemeinsames Arbeiten. Bibliotheken (sofern nicht sauerstoffarm und angenehm temperiert) sind gut, besser sind Büros oder man setzt sich mit Gleichgesinnten hin und schreibt zwei Stunden, schnackt dann ein bisschen und schreibt weiter. Gretchen Rubin würde es „Outer Accountability“ nennen – da ich kein Obliger bin, weiß ich nicht, warum das bei mir funktioniert. Tut es aber. 

...was möchte dieser lange Post uns sagen (außer, dass ich gerade eine halbe Stunde mit etwas verplempert habe, für das ich keine Note bekomme)? Vielleicht gar nichts. Oder vielleicht brauchte ich  auch einfach ein kleines Erfolgserlebnis, eine kleine fertiggestellte „Schreibarbeit“, um wieder an meine eigentliche Arbeit zu gehen. 

Womit ich sofort beginne. 
Also gleich. 
Kissy 

PS: Falls jemand das hier liest, der/die den ultimativen Tipp für mehr Produktivität beim Essay-Schreiben hat: Hit me. 
Texte lesen für die Uni am Küchentisch in Berlin-Moabit. 
Hier ging es um die Weimarer Republik, wenn ich nicht irre.

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