Bücher des März’: Lesen in Zeiten des Kontaktverbots
Der erste April ist dieses Jahr ausgefallen. Oder zumindest habe ich nirgendwo einen Aprilscherz gehört, gelesen oder durchlebt. Alles ist anders als sonst. Und doch ist alles irgendwie auch wie immer, für mich jedenfalls. Schreiben am Computer, lesen, fernsehen, am Wochenende den Freund sehen. Zu großen Teilen unterscheidet sich mein Alltag, wie in meinem letzten Post beschrieben, kaum von meiner sonstigen Routine. Wobei mich ebenjener Post dann doch herzhaft in den Hintern gebissen hat, als ich in der zweiten Woche Selbstisolation dann doch erst in Panik und dann in Corono-Depression verfallen bin. Wäre ja auch gelacht gewesen, wenn ich als Einzige davon verschont bliebe.
Auf der positiven Seite stehen ein 12-Tage-Französisch-Streak auf Duolingo und zwei weitere ausgelesene Bücher, die mittlerweile Jahren schon in Hamburg rumstehen und auf ihren Einsatz warten.
Nebenbei habe ich begonnen, wieder Bücher zu kaufen. Nicht auf Amazon, sondern bei Buchläden in meiner Nähe. Ich beginne, generell zu überdenken, wofür ich Geld ausgebe. Zwar kaufe ich selten Klamotten, sie könnten aber, wenn ich es tue, auch Secondhand sein anstatt Fast Fashion. Ich kaufe bereits seit einigen Wochen häufiger Bioprodukte – aber warum sollte ich mir nicht auch Unverpackt-Produkte leisten und öfter auf Wochenmärkte gehen? Ich brauche auf Jahre keine dekorative Kosmetik mehr und letztendlich genieße ich kulturelle Veranstaltungen viel mehr als sie mir offenbar wert sind. Warum sollte ich die Dinge, die ich genieße, nicht bewusster unterstützen und anderen meine Unterstützung vollends entziehen? Als Käufer sind wir nicht völlig machtlos. Und das ist doch etwas Positives, oder?
Elizabeth Gilbert: The Signature of All Things (2013)
Bei der Lektüre dieses Buches passierte etwas sehr merkwürdiges. Von einer Seite auf die andere verlor ich auf einmal den Anschluss. Eben sprach die Protagonistin noch mit ihrem Vater, auf der nächsten Seite auf einmal mit einer Freundin.
Genauere Nachforschungen zeigten: Auf Seite 146 folgte Seite 179. Etwa 30 Seiten fehlen nämlich in meiner Ausgabe. Druckfehler! Ich schrieb eine Mail an Penguin Books um sie zu bitten, mir ein neues Exemplar zu schicken (mit nur gelinden Hoffnungen, tatsächlich eins zu erhalten. Was ich bis heute nicht habe – also weder eine Antwort, noch ein neues Buch).
Ich habe dann trotzdem weitergelesen, was man Gilbert hoch anrechnen sollte. Der Plot hat mich fasziniert, auch wenn er sich als ganz anders geartet herausstellte, als der Klappentext versprach. Es geht um Alma Whittaker, die 1800 geboren wird und sich zu einer geschätzten Bryologin – einer Moos-Expertin – entwickelt, in einer Zeit, als Frauen noch nicht für wissenschaftliche Finesse, sondern eher für Schönheit und Häuslichkeit geschätzt wurden. Es geht um Wissenschaft und Leidenschaft, Körper und Geist, Sehnsüchte und Neugier. Das Buch hat keinen wirklich zentralen roten Faden, es geht eher mehreren Überlegungen zu Themenkomplexen nach und erzählt sehr sensibel das Innenleben einer komplizierten, getriebenen, frustrierten und scharfsinnigen Frau.
Genauere Nachforschungen zeigten: Auf Seite 146 folgte Seite 179. Etwa 30 Seiten fehlen nämlich in meiner Ausgabe. Druckfehler! Ich schrieb eine Mail an Penguin Books um sie zu bitten, mir ein neues Exemplar zu schicken (mit nur gelinden Hoffnungen, tatsächlich eins zu erhalten. Was ich bis heute nicht habe – also weder eine Antwort, noch ein neues Buch).
Ich habe dann trotzdem weitergelesen, was man Gilbert hoch anrechnen sollte. Der Plot hat mich fasziniert, auch wenn er sich als ganz anders geartet herausstellte, als der Klappentext versprach. Es geht um Alma Whittaker, die 1800 geboren wird und sich zu einer geschätzten Bryologin – einer Moos-Expertin – entwickelt, in einer Zeit, als Frauen noch nicht für wissenschaftliche Finesse, sondern eher für Schönheit und Häuslichkeit geschätzt wurden. Es geht um Wissenschaft und Leidenschaft, Körper und Geist, Sehnsüchte und Neugier. Das Buch hat keinen wirklich zentralen roten Faden, es geht eher mehreren Überlegungen zu Themenkomplexen nach und erzählt sehr sensibel das Innenleben einer komplizierten, getriebenen, frustrierten und scharfsinnigen Frau.
Pierre Bayard: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat (2006)
Beim ersten Lesen – vor Jahren – war ich erzürnt und habe das Buch nach wenigen Seiten weggelegt. Bayard ist nämlich Literaturprofessor und gerade er sollte sich doch nicht gegen das Lesen aussprechen...? Wo wir doch alle eigentlich eher zu wenig als zu viel lesen...
Zum Teil denke ich noch heute so. Immerhin habe ich mich, gerade dieses Jahr, dem bewussten „Mehr Lesen“ verschrieben. Bayard jedoch, der anführt, man könne mit Blick auf die schiere Masse an Büchern, die es zu lesen gelte, sowieso nie alles lesen, versucht, so wenig wie möglich zu lesen. Was ich schon ganz schön verstiegen und extrem finde.
Letztendlich fand ich seinen Stil bis zuletzt aufgeblasen, blasiert und unnötig manieriert, konnte seinen Theorien aber durchaus etwas abgewinnen, insofern, als sie mich zum Nachdenken gebracht haben.
Etwa seine Behauptung, dass es wenig Unterschied macht, ob man ein Buch gelesen hat oder nicht, da wir sowieso das Meiste, was wir gelesen haben, vergessen. Damit hat er durchaus recht. Selbst von meinen Lieblingsbüchern (etwa Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, The Cider House Rules, Fates and Furies, The Old Man and Mr Smith, The Picture of Dorian Gray...) kann ich den Plot nur sehr lücken- bzw. skizzenhaft wiedergeben. Was mich im Übrigen aber nicht davon abhalten würde, weiterhin Bücher zu lesen, deren Plot mich interessiert. Immerhin hindert einen ja auch niemand daran, ein gutes Buch ein zweites, drittes, viertes Mal zu lesen.
Mir geht es am Ende auch nicht darum, über wie viele Bücher ich sprechen kann oder irgendjemanden damit zu beeindrucken, was ich alles (nicht) gelesen habe und welche Meinungen ich dazu habe. (Mir ist durchaus bewusst, dass diese öffentliche Chronik der Bücher, die ich dieses Jahr lese, dieser Aussage zu widersprechen scheint. Ich werde diesen Konflikt nicht auflösen und hoffe, dass der geneigte Leser/die geeignete Leserin es mir nachsieht.)
Der Genuss des Lesens besteht für mich nicht in der Reproduktion von Inhalten, sondern im Verlieren in den Worten der Anderen, die manchmal so vertraut klingen, als wären sie eigene Gedanken.
Schließen möchte ich mit den Worten Daniel Pennacs, der vor Jahren die Rechte der Leser wie folgt formuliert hat. Leser dürfen nämlich alles.
1. Das Recht, nicht zu lesen.
2. Das Recht, Seiten zu überspringen.
3. Das Recht, ein Buch nicht zu Ende zu lesen.
4 .Das Recht, noch einmal zu lesen.
5. Das Recht, irgendwas zu lesen.
6. Das Recht auf Bovarysmus*.
7. Das Recht, überall zu lesen.
8. Das Recht, herumzuschmökern**.
9. Das Recht, laut zu lesen.
10. Das Recht zu schweigen.
* Bovarysmus ist das „Sich Verlieren“ in einem Roman, der einem wie das wahre Leben erscheint.
** Als mal hier, mal da, in ein Buch hineinzulesen.
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Ich hoffe, es geht allen, die das hier lesen, gut. Es ist keine Schande, gerade etwas nachdenklich zu sein. Machen wir das Beste daraus: Machen wir es uns gemütlich, trinken wir mehr Tee und lesen mehr, anstatt auszugehen, machen wir öfter Kerzen an und rufen unsere Großmütter an. Ich sende Grüße aus der Selbstisolation und verbleibe stets freundschaftlich
eure Kissy


Freue mich jedsmal wenn du was neues posts, es ist so erfrischend!
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