Lionel Shriver: The Motion of the Body through Space (2020)
Lionel Shriver ist eine umstrittene amerikanische Autorin mit starken Meinungen. Sie spricht sich gegen die Verurteilung kultureller Aneignung aus und ist eine von den Konservativen, die sich etwa davon irritieren lassen, dass Menschen, die wie Männer aussehen, lieber als Frauen angesprochen werden möchten.
Unabhängig davon ist The Motion of the Body Through Space ein amüsanter Roman, wenn auch im aktuellen politischen Klima womöglich nicht die gefälligste Wahl. Wollte ich mit dem Strom schwimmen, müssten in der Juni-Liste eher Why I No Longer Talk to White People about Race oder Deutschland Schwarz Weiß stehen. (Lieber nicht White Fragility, denn das wurde ja von einer weißen Wissenschaftlerin verfasst und gilt daher als dubios in manchen Kreisen, weil die Autorin sich am Leid von BIPOC bereichert und – so heißt es – nicht genug an die Community „zurückgibt“). Ich werde diese Bücher zu gegebener Zeit lesen, habe aber gerade keine Lust dazu. Weil ich stur bin und mir nicht von anderen Leuten vorschreiben lassen möchte, auf welche Bücher ich gefälligst gerade Lust habe.
Mir war eher gerade nach einem bissigen Roman und als ich die (nicht gerade vorteilhafte) Kritik an Shrivers neuem Buch im Guardian gelesen hatte, wusste ich, dass es gerade bissig und kontrovers genug ist. Sie beschreibt ein Ehepaar in den Sechzigern, beide attraktiv, Mittelschicht, weiß, a-religiös, im Grunde „gemütlich“ verheiratet. Bis eines Tages Remington beschließt, einen Marathon zu bestreiten. Was sowieso immer eine beknackte Idee ist, wenn man mich fragt; in seinem Fall – mit 64 und ohne jemals vorher joggen gewesen zu sein – aber nicht nur laut nach End-of-Life-Crisis, sondern auch nach Herzkasper schreit.
Was die Lage auf die Spitze treibt und für seine Frau Serenata die Ankündigung in eine Beleidigung umwandelt: Sie musste vor Kurzem das Joggen aufgeben. Nach 46 Jahren. Kaputte Knie – was sonst.
(Ein weiterer der Gründe, warum ich mich im Großen und Ganzen dem Joggen verwehre. Es ist nicht nur das Gegenteil von entspannt, sondern auch noch schlecht für die Gelenke. Wahrscheinlich bekommt man auch Falten und Cellulite davon.)
Ich war durchweg amüsiert, fand das Ende allerdings etwas zu nett. Aber durchaus ein Lesevergnügen, wenn man den konservativen Quatsch am Rande der Geschichte als das liest, was es ist: konservativer Quatsch.
Holly Whitaker: Quit like a Woman: The Radical Choice to Not Drink in a Culture Obsessed with Alcohol (2019)
Ein Buch über Frauen und Alkohol und unsere Gesellschaft, die letzteres an erstere vermarktet, als wäre es die Lösung aller Probleme. Holly Whitaker mag das Label „Alkoholikerin“ nicht, trinkt aber seit Jahren nichts, weil sie mit Alkohol nicht klar kam. Sie verurteilt die Anonymen Alkoholiker aufs Schärfste; denn wer braucht schon eine weitere Sekte, die von alten weißen Männern für alte weiße Männer gegründet wurde und von Frauen erwartet, dass sie ihr Ego kaputt machen und sich an eine höhere Macht ausliefern (welches Ego eigentlich?).
Ich persönlich finde Whitaker in ihrem Ansatz zu radikal, war aber in meinem Konsum auch nie so weit fortgeschritten wie sie und komme daher aus einer anderen Richtung an das Thema. Das Buch liefert aber viele interessante Anregungen und Fakten. Vor allem das Kapitel über die historische Vermarktung von Alkohol an Frauen und die Parallelen zu Marketingkampagnen für Zigaretten fand ich faszinierend.
Caroline Knapp: Drinking. A Love Story (1996)
Die Memoiren einer Journalistin und hochfunktionalen Alkoholikerin. Sie haben mich sehr berührt und nachdenklich gemacht. Viel kam mir – zumindest in Ansätzen – bekannt vor, viel anderes nicht. Sie war Mitglied bei den AA, deren Grundsätze mir zuwider sind – s.o. Auch fand ich es leicht problematisch, wie viel Verständnis sie für ihren Exfreund aufbrachte, der meiner Meinung nach einfach ein richtig manipulativen Arschloch war. Aber bei den AA wird man eben angehalten, sich für die eigenen Fehler zu entschuldigen und alle negativen Erfahrungen als Fohlen von Alkoholkonsum zu sehen. Greift zu kurz, finde ich. Manche Leute sind mies und Alkohol hilft einem vielleicht nicht, sie zu verlassen – aber ohne Alkohol wären sie immer noch mies. Und einer Frau vorzuschreiben, wie sie sich anziehen soll, wie sie ihre Haare zu tragen hat, etc. – das ist Arschlochverhalten 1.0.
Knapp starb 2002 mit 43 Jahren an Lungenkrebs. Krebs lag in ihrer Familie, wurde aber wohl auch durch ihren Konsum begünstigt. Eine sehr traurige Geschichte, alles in allem.
Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit (2018)
Ein Geschenk vom Freund zu Weihnachten 2018 für eine angehende Historikerin.
Harari schreibt interessant genug, dass einen sogar Teile der Menschheitsgeschichte (Steinzeit) interessieren, die man zuvor mit Missachtung gestraft hatte. Alles in allem kein rein literarischer Genuss, aber einigermaßen kurzweilig und inhaltlich natürlich sehr spannend. Der Autor erklärt anschaulich, wie die kognitive und landwirtschaftliche Revolution die Grundsteine für unser heutiges Leben legten, warum wir an Götter glauben und an Geld, dass wir als Jäger und Sammler vermutlich glücklicher waren denn als Bauern und worauf die Unterdrückung der Frau – seiner Meinung nach – wirklich basiert. Dabei präsentiert er viele Fakten, kennzeichnet seine eigene Meinung hinreichend deutlich und lässt auch offene Fragen stehen, wo Forschungsgebiete eben Desiderate aufweisen oder die wissenschaftliche Welt zerstritten ist.
Auf jeden Fall eine Empfehlung für Menschen, die wissen möchten, warum wir so leben, wie wir leben. Ich leihe es gerne aus.
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Kissy
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