Bücher des Septembers: Raus aufs Land
Oha, diesen Monat bin ich aber wirklich spät dran.
Die Bücher des Septembers habe ich fast ausschließlich in einem Ferienhaus im norddeutschen Nieby und in einem anderen Ferienhaus am Hang eines Berges im Tessin gelesen. Landlektüre eben.
Paul Murray: An Evening of Long Goodbyes (2005)
Könnte man als eine irische Reminiszenz auf die guten, alten P. G. Wodehouse-Romane betrachten, in denen ein tollpatschiger, etwas trotteliger junger Adliger names Bertie Wooster von seinem cleveren Butler Jeeves aus den unmöglichsten Situationen gerettet wurde. Ein schönes Beispiel für „bottom-up“ Humor. (Immer schön nach oben treten!)
In An Evening of Long Goodbyes heißt Bertie Wooster Charles Hythloday und er ist nicht von altem Adel, sondern jungem Vermögen, welches aber schneller dahinschwindet, als die Bank Mahnungen schreiben kann. So findet sich ein Mittzwanziger, der hauptberuflich alten Wein trinkt und noch ältere Schwarz-weiß-Filme schaut, nach dem Tod seines Vaters und der darauffolgenden geistigen Umnachtung der Mutter auf einem Berg Schulden in einem verpfändeten Trutzburg wieder. Seine jüngere Schwester Bel, deren Ambitionen als Schauspielerin ins Leere laufen, und deren aus prekären Umständen stammender Liebhaber Frank – von Charles früh als Unheilsbote identifiziert – das alte Haus scheinbar von Antiquitäten befreit, sind auch keine wirkliche Hilfe.
Streckenweise ist diese Geschichte sehr lustig. Die Charaktere sind absurd und der Hauptcharakter herrlich ahnungslos und trottlig, dabei aber sehr um Contenance bemüht. Äußerst amüsant. Leider schleppt sich die Handlung immer mehr ohne erkennbaren roten Faden dahin. Am Anfang fällt das kaum auf, da geht es vor allem um den rasch voranschreitenden finanziellen Ruin. Aber dann verliert sich der Autor in immer neuen, überraschenden Wendungen, die aber keinen bestimmten Zweck zu verfolgen scheinen. Viele angefangene Plotstränge verlieren sich scheinbar im Nichts. Ob sie am Ende doch alle wieder zusammenfinden, werde ich nie erfahren, weil ich das Buch nicht beendet habe. Tut mir leid, Paul Murray – trotz der schönen Erinnerungen, die Du mit Dublin-Referenzen wach gerufen hast, das war mir dann doch zu konfus.
Joan Didion: Slouching towards Bethlehem (1968)
Eine der ganz großen amerikanischen Essayisten, diese Joan Didion. Auf Netflix gibt es eine ganz fantastische Dokumentation über sie (aus der Feder ihres Neffen, wenn ich mich recht erinnere – sehr intim, sehr feinfühlig). Slouching ist eine Essaysammlung, mit der Didion zu einiger Berühmtheit kam. Sie behandelt darin Kalifornien in den 60ern und die Hippie-Bewegung, welche nicht besonders sympathisch rüberkommt, wenn man mich fragt. War so nicht intendiert, glaube ich, aber was soll ich sagen: Ich halte die damaligen Hippies für genauso misogyn und beschränkt wie das Establishment, gegen das sie ankämpften. Meine Meinung.
Didion schreibt auch über New York, das sie nach acht Jahren verließ, um in ihre Heimat (Sacramento, Kalifornien) zurückzukehren. Sie beschreibt ihre Familie und ihren Mann und trägt Erinnerungen aus ihren vielen Notizbüchern zusammen und das alles mit viel Sensibilität und Liebe zum Detail. Man wünschte, man könnte selbst so poetisch über das eigene Leben berichten.
Joachim Meyerhoff: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (2017)
Ich hatte vor unserem Urlaub im Tessin die Aufgabe, zwei Bücher für den Freund einzupacken. Weil ich mich damit ja auskenne, so er.
Gelesen hat er keinen der beiden Romane, die ich eingesteckt hatte, was ich mir eigentlich hätte denken können, weil er einen davon schon bei seinem letzten Aufenthalt im Tessin unangerührt dabei hatte (Noah Gordons „Der Medicus“).
Den zweiten – der kein Roman ist, sondern autobiographische Non-fiction – habe dann ich innerhalb von zwei Tagen verschlungen. Der Burgtheater-Schauspieler Joachim Meyerhoff erzählt darin von seiner Ausbildung auf der berühmten Otto Falckenberg Schule für Schauspielerei und seinem Leben in einer Wohngemeinschaft mit seinen Großeltern zur gleichen Zeit. Wohngemeinschaft ist vielleicht ein missverständlicher Begriff – vielmehr zieht Meyerhoff mit Anfang Zwanzig in das hochherrschaftliche Haus der Großeltern in München am Nymphenburger Park ein. Diese Großeltern sind das Herzstück der autobiographischen Erzählung und auch der Grund, warum ich ihn schon auf der ersten Seite geliebt geliebt habe. Diese zwei Exzentriker waren zwar – wie die besten Roman-, Film- und Serienfiguren – im echten Leben oft schwer zu ertragen, aber auf dem Papier sind sie eine rechte Freude.
Glennon Doyle: Untamed (2020)
Glennon Doyle ist Ex-Junkie, Ex-Bulimikerin, Ex-inhaftierte Mutter dreier Kinder und Ex-Ehefrau eines Ex-Models (dem Vater der Kinder). Mittlerweile ist sie außerdem Bloggerin, Autorin dreier Bestseller-Memoiren, ein moderner „Gurus“ oder „Life Coach“ und mit einer Ex-Profifußballerin namens Abby Wambach in zweiter Ehe verheiratet.
Sie beschreibt in Untamed, wie sich sich von den Leitsätzen ihrer Vergangenheit („Sei hübsch dünn, brav und angepasst“, „Sei eine aufopferungsvolle Mutter“, „Sei eine gute Ehefrau“) gelöst hat, um „ungebändigt“ ein ehrlicheres, authentisches Leben zu führen.
Als sie mit Mitte Zwanzig erfuhr, dass sie ungewollt schwanger war, änderte sie ihr Leben, wurde trocken und clean und bloggte daraufhin über ihr Leben mit Mann und Kindern aus einer christlichen Perspektive. Saulus -> Paulus. Sie publizierte ein Buch über ihre Wandlung: Carry on, Warrior. Dann erfuhr sie von den Seitensprüngen ihres Mannes. Es folgte ein weiteres Buch: Love Warrior. Die beiden versuchten drei Jahre, ihre Ehe zu „retten“. Bis Doyle klar wurde, dass es nichts zu retten gab – sie hatte sich in eine Frau verliebt.
Sie erkannte ihre bis dahin unterdrückte sexuelle Identität (die ihr von ihrer Kirche als sündhaft und falsch verkauft worden war) an und baute eine Patchworkfamilie mit ihrem Mann und Abby auf. Darin geht es in Untamed – darum, aber auch um Glauben (den Doyle immer noch hat), um Meditation und die Suche nach der inneren Stimme, die oft von äußeren Lehrsätzen übertönt wird, um Familie und Zusammenhalt, darum, wie man Kinder erzieht, die auf sich selbst hören und ihre Handys und Cliquen nicht zu wichtig nehmen und wie man als Frau den Anspruch auf Perfektion in Perspektive setzt und aushebelt. Wie man selbst zu einem authentischen Leben finden kann, so man das möchte.
Es ist ein sehr berührendes Buch – sehr ehrlich, sehr offen. Ich habe in die beiden früheren Memoiren hineingelesen und sie sind, wie könnte es anders sein, viel zurückgenommener. Zögerlicher auf eine Art. „I was born a little bit broken“ – das ist ein Satz aus dem ersten Buch, den Doyle im dritten aufgreift. Was für ein Bullshit, sagt sie selbst mit über 40 über die Aussage, die sie in ihren Dreißigern machte. Eine Erkenntnis, zu der sie erst Jahre später kommen konnte.
Auch Untamed habe ich an unseren letzten Tagen in der Schweiz verschlungen. Ich konnte es kaum noch weglegen. Glennon Doyle ist nicht umsonst eine gefragte Motivationstrainerin, unter anderem für die Sängerin Adele. Das Buch gibt viele positive Denkanstöße, die über Plattitüden, die ja oft in Selbsthilfebüchern verbreitet werden, hinausgehen.
Ein schöner, simpler Satz, an den ich immer wieder denken musste: „We can do hard things.“
x
Kissy






Kommentare
Kommentar veröffentlichen