Bücher eines nebligen Novembers

Photo aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020

Nora Ephron: The Most of Nora Ephron (2013)

Nora Ephron ist seit Jahren eine meiner liebsten Schriftstellerinnen. Ich hatte mir irgendwann während meines Bachelorstudium mal Heartburn aus der Amerikanistik-Bibliothek ausgeliehen. Darin verarbeitet Ephron die Untreue ihres Ehemannes Bob Woodward, einem der beiden berühmten Journalisten, die die Watergate-Affäre aufgedeckt haben. Immer wieder findet man zwischen den Zeilen der Handlung Rezepte – für Key Lime Pie, Kartoffelstampf, Sauerampfersuppe. Es ist ein wunderbares Buch. Und die Rezepte sind wirklich gut; ich habe mehrere davon damals nachgekocht und -gebacken, unter anderem den Key Lime, den „besten Peach Pie“ und ein Rezept für lauwarme Spaghetti mit Tomaten und Basilikum. 

In The Most findet man nicht nur den Roman, sondern eben auch „das meiste andere“ – wobei das so natürlich nicht ganz stimmt, immerhin hat Ephron nicht nur eine ganze Menge Artikel und später Blogposts geschrieben, sondern auch mehrere Drehbücher, von denen nur eins abgedruckt ist. Aber ich verliere mich. Was findet man also außer Heartburn? Viele brillante, endlos unterhaltsame Essays, das Script für When Harry Met Sally, ein Theaterstück und eine Menge Zeitungsartikel und Porträts berühmter Personen, die Ephron vor allem in den 1970ern schrieb. Im Nachwort zum Drehbuch erfährt man viele spannende Details zum kreativen Prozess, etwa dass der Regisseur Rob Reiner Vorbild für die Figur Harry war, während viele von Ephrons Gedanken und Gewohnheiten in die Figur Sally einflossen. 

In den persönlichen Essays teilt Ephron profunde Beobachtungen über das Leben, die mitunter rührend, dabei aber selten sentimental und meist irre komisch sind. Sie schreibt ebenso eloquent über ihre Haare wie über die zweite Welle des Feminismus und viele ihrer Sätze möchte ich mir am liebsten einrahmen. Spannend an so einem Sammelband ist ja, dass man konkret mitverfolgen kann, wie sich Gedankenstränge über Jahre hinweg verfestigen – die Befürchtung, trotz der „Women’s Lib“ nach einer zu konservativ Beziehung zu suchen; die Angst, ungeliebt und allein in New York zu sterben und erst nach Wochen gefunden zu werden, wenn der Gestank schon über den Korridor wabert; ihre Fokussierung auf ihre kleinen Brüste (die mal den Stoff für einen Esquire-Artikel lieferten). 


Ephron ist auch mal wieder einer dieser Schriftsteller*innen, die mich beim Lesen wünschen lassen, ich könnte auch so schreiben. Ich bin ein wenig (na gut: sehr) verliebt. Die letzten hundert Seiten lese ich während meiner zweiten diesjährigen Erkältung im Bett. Und siehe da: In einer der letzten Geschichten des Sammelbandes („Rapture“) beschreibt sie die Magie eines wirklich guten Buches. (Was gut heißt, kommt dabei natürlich auf die Leserin selbst an – was begeistert, ist gut.) Vor allem geht sie auf das Erlebnis des Lesens ein und wie sie sich nach Jahren und Jahrzehnten noch daran erinnert, in welcher Lebenssituation und auf welchem Sitzmöbel sie ein wirklich gutes Buch verschlungen hat. Es sind diese Stellen in Ephrons Werk, die mich wirklich tief berühren, weil ich mich darin wiederkenne. Und dann, wie ungewöhnlich, wie fast unheimlich, benennt Ephron das Buch, das sie wohl in die größte Verzückung versetzt hat: The Woman in White von Wilkie Collins. Und welches Buch habe ich mir für den Dezember vorgenommen? Richtig. Schon komisch, oder?! 

Bücher sind magisch, was soll ich sagen. 

Asfa-Wossen Asserate: Manieren (2004) 

Dieses Buch wollte ich schon seit Jahren lesen. Jetzt kam die Gelegenheit, es dabei auch gleich für meine Masterarbeit zu analysieren. 

Was soll ich sagen? Ich bin sehr froh, einen Blog zu haben, auf dem ich ungefiltert meine Meinung raushauen kann. In einer Masterarbeitsanalyse darf man sich nämlich nicht über konservative Säcke aufregen, und seien sie noch so unerträglich. Wie sagte ein Dozent an der HU mal? 

Leider beschäftigt man sich in der Geschichte oft mit historischen Sauereien, die von richtigen Schweinen begangen wurden...“ 

Ganz so schlimm ist Asserate nicht, dass ich ihn als „richtiges Schwein“ bezeichnen wollte. Aber ich finde es immer besonders unerträglich, wenn intelligente Menschen beschränkte Ansichten pflegen. 

So leider Herr Asserate. Weltreligionen verdienen Verehrung, weil sie alt sind? Möööööpppp. Antisemitismus, Sexismus, Rassismus... alles sehr, sehr alt. Nichts davon verehrungswürdig. Alter ist keine Schande – eine Leistung aber auch nicht. 

Nächstes Problem: Deutscher Adel. Gibt es nicht. Also, es gibt Menschen, die einstige Titel als Teil ihres Namens führen dürfen. Noch, könnte man ergänzen, denn einige Politiker setzen sich dafür ein, dass auch das abgeschafft wird, da es zu Ungleichheit aufgrund von Assoziationen führt. Das Privileg, als Prinz von Dings mit „Eure Königliche Hoheit“ angesprochen zu werden, sowie alle weiteren Privilegien, die die Aristokratie früher inne hatte, sind seit der Weimarer Verfassung von 1919 passé und perdu, verehrte Herrschaften. „Prinz von“ ist seither Teil des Namens und sollte als solcher verwendet werden, etwa so: „Lieber Herr Prinz von Dings, liebe Frau Prinzessin von Bums, wir würden uns freuen, Sie am Wochenende zum Tee zu empfangen.“ Das Schöne daran ist, dass man in Deutschland keinerlei Verrenkungen beim Ansprechen solcher Individuen machen muss. Die Höflichkeit gebietet es keinesfalls, Titel zu verwenden, die es nicht mehr gibt. Herr Asserate sieht das natürlich anders. 

Weiter geht es: Frauen waren mal „Damen“. Mystische Wesen, wenn ich es richtig verstehe, sehr schwach, ohne Lohnarbeit, sehr abhängig, sehr verehrungswürdig, sehr dekorativ. Selten real existent, heute schon gar nicht mehr. Dass eine Dame immer Dame bleibt, würde ich stark bestreiten. „Die Sprache macht den Menschen, die Herkunft macht es nicht“, so Professor Higgins in My Fair Lady. Ich würde hinzusetzen, dass die Taten den Menschen machen; wer laut flucht und das Personal hässlich behandelt ist, in meinen Augen jedenfalls keine Dame, da kann der Stammbaum noch so honorig sein. 

Es ist wirklich schade, dass der Mann solche – in meinen Augen – rückständigen Ansichten hat. Seine Prosa ist jedenfalls wunderschön und über lange Strecken hinweg genieße ich das Leseerlebnis daher trotz meiner gelegentlichen Wutanfälle. 


Umberto Eco: How to Write a Thesis (2015; Erstausgabe 1977) 

Eigentlich hätte ich dieses Standardwerk schon viel früher in meiner akademischen Karriere lesen sollen. (Hätte, hätte, L-o-i-lette.) Viel war mir bekannt, manche Herangehensweisen oder Tricks bzw. Warnungen aber auch neu. 

Eco erklärt eingängig und gleichzeitig unterhaltsam, wie man an die Themenfindung einer Abschlussarbeit herangeht, wie man Bücher und andere Dokumente findet und auswertet, was man von seinem Prüfer erwarten darf, wie man ihn auswählt, und schließlich wie man so eine Arbeit dann Stück für Stück schreibt. 

Eco hat ja auch historische Romane verfasst. Der Name der Rose zum Beispiel. Das hier ist natürlich ein non-fiktionales Buch, es ist aber dennoch recht leichtfüßig verfasst und spaßig zu lesen. An einer Stelle gibt er sich selbst zum Beispiel die Aufgabe, ein Thema unter realen Bedingungen zu recherchieren, wie sie ein Student vorfinden würde, der in einer kleinen Stadt ohne große Bibliothek wohnt. Seine nerdige Hingabe an dieses kleine Experiment ist geradezu rührend: „I decide to start from the subject catalog. Unfortunately, I am immediately exceptionally lucky, and this threatens the integrity of the experiment.“

Erst auf Seite 102 kommt der hilfreiche Hinweis: „Do not expect this book to tell you what to put in your thesis, or what to do with your life.“ 

Seien wir ehrlich: für beides wäre man doch als Student manchmal dankbar gewesen.

Sein Fazit beginnt dann auch besonders schön: „I would like to conclude with two observationsFirst, writing a thesis should be fun. Second, writing a thesis is like cooking a pig: nothing goes to waste.“

In diesem Sinne wünsche ich mir selbst noch viel Spaß beim kochen meines Schweins... 


Kissy 

Kommentare

  1. auch auf die gefahr hin mich zu wiederholen: Du MUSST veröffentlichen! Deine Texte sind witzig, eloquent, intelligent und locker flockig zu lesen!

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