Januar, Du trostlose, treulose Tomate

Der Januar kommt daher mit großen Gesten und noch größeren Versprechungen. „Nächstes Jahr wird alles anders“, „Nächstes Jahr machen wir es besser“, „Nächstes Jahr ist wenigstens nicht mehr 2020“. Und dann schlägt er einem die eigenen Vorhaben für das neue Jahr, welcher Art sie auch sein mögen, wie eine Socke voller Hartgeld um die Ohren. 

Ich hatte keinen schönen Januar, nein, gar keinen schönen Januar. Aber wer, zum Himmel, hat jemals einen schönen Januar? Ich mag Neuanfänge. Himmelherrgott, ich mag sogar Montage! Aber der Januar ist kalt und dunkel und lang, viel zu lang! Ich habe dieses Jahr zum ersten Mal einen Dry January durchgezogen, jedenfalls bis zum 30. Januar, an welchem mir die Hutschnur platzte und ich mit den Worten „DER JANUAR IST SCHON LÄNGST VORBEI, GIB DAS HER“ beherzt nach der Weinflasche griff. (Ich habe ausgerechnet, dass vier mal sieben Wochen eigentlich 28 Tage sind. Von daher war ich ja einen ganzen Monat am Stück trocken, rein rechnerisch. Mathe ist eine feine Sache. Und der Wein war sehr lecker.) 

Eigentlich dürfte das neue Jahr erst im März anfangen. Damit wäre der Winter kalendarisch natürlich deutlich länger als alle anderen Jahreszeiten – aber in Wirklichkeit ist er das ja auch! 

Wenn die trostlosen Monate, die jetzt das Jahr einläuten, vorbei und die ersten Knospen zu sehen sind, dann sollte das neue Jahr anfangen. Wenn die Sonne schon länger scheint. Wenn Väterlichen Frost einem keinen Eisregen mehr um die Ohren bläst. Nun, dann kommt April, naja, da muss man dann nochmal durch. Da kann es schon auch nochmal eisregnen. Aber dem April verzeiht man es irgendwie, oder? April, April. So isser halt, der April-Schorsch. 

Der Januar ist jedenfalls Gott sei dank vorbei und ich nehme seit gestern Vitamin D. Und esse Gummibärchen. Eins davon wird den Februar sicher rumreißen. 


Im Folgenden die beiden Bücher, die ich im Januar beendet habe. 

1. Wilkie Collins: The Woman in White (1859)


Wer den Blog schon länger liest (hallo Mama, hallo Papa!), hat dieses Buch vielleicht schon mal auf einem Photo (oder sogar auf mehreren) gesehen. 

Diese schöne Ausgabe des Klassikers The Woman in White von Wilkie Collins bekam ich Weihnachten 2019 von der Mutter des Freundes geschenkt. Und durch Nora Ephron (s. die Bücher des Novembers 2020) wurde ich darin bestärkt, es nun (endlich) so bald wie möglich zu lesen. 

Und wie Nora Ephron war ich nach weniger als 100 Seiten in seinen Bann geschlagen. Gut, auf den ersten, sagen wir mal, rund 50 Seiten muss man sich erstmal an den Stil gewöhnen. Viktorianische Literatur liest sich nicht mal eben so runter; man muss sich schon darauf einlassen. Ein bisschen umständlich und geschwollen bleibt es. Und glaubt ja nicht, dass ich alles verstehe. Die Endnoten sind hilfreich, aber man muss auch nicht jeden Satz verstehen, um den Plot zu begreifen. 

Und der hat es in sich. 

Collins hat hier einen sogenannten „Sensation Novel“ geschrieben. Er wurde in der viktorianischen Zeit skandalisiert, weil er die Gemüter durch unerwartete Wendungen und überraschende Enthüllungen über die Figuren erregte. So sehr, dass manche glaubten, es könne ungesund sein. Collins holte den Schrecken, der aus dem Gothic Novel schon bekannt war, mit dem Sensation Novel in die heimische Sphäre, die ja eigentlich eine Schutzzone sein sollte. 

In aller Kürze: Eine junge Frau mit Vermögen soll einen relativ armen Baronet heiraten. Vor der Hochzeit wird sie davor gewarnt, dass er Unglück über sie bringen wird. Sie hat eigentlich keine Wahl – mit dem (inzwischen toten) Vater abgemacht ist abgemacht. Wird sie die Ehe eingehen? Und was weiß die geheimnisvolle Frau in Weiß über das dunkle Geheimnis, das den Baronet zu umwittern scheint? Bevor sie und wir das erfahren, passiert viel Hin und Her und Bangen und Warten und Weinen und Briefe und viele Gänge durch die Natur Englands.  

Einen der schönsten Sätze im ganzen Buch spricht die Protagonistin Marian Halcombe, die Halbschwester unserer verlobten Heldin, zu ebenjener, als sie von einem Mann grob angefasst wurde, sodass ein „mark“ entstanden ist: „...our endurance must end, and our resistance must begin, to-day. That mark is a weapon to strike him with.“

Leider kommt es danach noch lange nicht zur erwarteten Rache. Aber Collins lässt sich eben Zeit. Viel Zeit. Das Buch erschien in „Enstallments“, also als Serie. Man merkt, wo er einen in Atem hält, damit man die nächste Ausgabe wieder kauft. Ich habe mir in den letzten Wochen mehrfach die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, damit ich endlich das Geheimnis der Frau in Weiß herausfinde. 

Zu guter Letzt hat meine bezaubernde Freundin L. mir dann noch bestätigt, dass es sich um ein liminales Buch handelt, sowohl vom Plot her als auch von den Figuren. So schließt sich der Kreis zur Liminalität mal wieder. 


2. Roxane Gay: Bad Feminist (2014)

Roxane Gay ist eine fantastische, sehr scharfsinnige, lustige Autorin. Ihre Sätze sind schneiden und dabei gleichzeitig federleicht und elegant. Eine tolle Balance. Außerdem ist sie Feministin; wie der Titel dieser Essaysammlung andeutet, eine schlechte. Dito, möchte man rufen! Wer unter uns keine Widersprüche in sich vereint, werfe den ersten Stein. 

Die Essays haben sehr unterschiedliche Themen. Mal geht es um ihre Erfahrungen als Dozentin für Englisch an der Universität, mal um Rassismus, mal um ihre Begeisterung und ihren Erfolg bei Scrabble-Turnieren, mal analysiert sie kleinteilig und liebevoll eine trashige Buchreihe, die sie als Kind liebte. Es geht in vielen Geschichten um Feminismus, mal mehr und mal weniger offen. Es geht um Politik und Gesellschaft, Literatur und Filme und die Liebe, um Menschen und ihre Geschichten, um Hautfarbe und Gewalt und Ungerechtigkeiten. Um die großen Themen, aber auch die (vorgeblich) kleinen. 

Man weiß also nicht so recht, was einen in der nächsten Geschichte erwartet, und das macht dieses Buch zu einem Lesegenuss.


Kissy

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