Mein März der Monster
So spät war ich mit meinen Bücherposts ja noch nie dran, meine Herren.
In den letzten Wochen war einfach so viel los – für Pandemieverhältnisse, versteht sich – dass ich zwar noch an meinen offenen Entwurf vom März dachte, dann jedes Mal aber keinen Elan verspürte, ihn fertigzustellen und abzuschicken.
Gleichzeitig war mir mit dem Ende des Monats merkwürdigerweise die Lust aufs Lesen selbst abhanden gekommen. (Schockschwerenot!) Ich fing dieses und jenes Buch an und nahm mit keinem so richtig Fahrt auf (darunter Buddenbrooks: Verfall einer Familie von Thomas Mann und Purity von Jonathan Franzen).
Vor ein paar Tagen begann ich jedoch abends vor dem Schlafengehen die autobiographisch angehauchte Geschichtensammlung Naked von David Sedaris. Sedaris geht zum einen eigentlich immer und Geschichten fühlen sich auch leichter „verdaulich“ an als ein Roman. Es funktioniert: Ich bin mittlerweile auf Seite 81. Ihr könnt euch auf eine Rezension Anfang nächsten Monats freuen.
Nun aber erstmal zurück in den März – ein Monat im Zeichen der Monster, wie sich im Nachhinein herausstellte.
8. Lauren Groff: The Monsters of Templeton (2008)
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| Bild: amazon.de Meine eigene Ausgabe wanderte, bevor ich sie photographieren konnte, in einen Koffer, der jetzt auf dem Dachboden meiner Wohnung steht, die ich diesen Monat wieder beziehe. |
Lauren Groff hat eines meiner Lieblingsbücher geschrieben, Fates and Furies. Leider hat sie ansonsten noch nicht viel produziert; unter anderem Monsters, ihr Erstlingswerk. Kurz: Ich war b*e*g*e*i*s*t*e*r*t.
Die junge Anthropologiestudentin Willie ist ungewollt von ihrem verheirateten Professor schwanger und kehrt, verwirrt und verletzt von seiner Zurückweisung, in das verschlafene amerikanische Städtchen Templeton zurück, wo ihre Mutter in einem grotesken Familienanwesen wohnt. Dort erfährt sie zu allem Überfluss, dass ihr Vater doch kein Unbekannter aus einer Hippiekommune ist, wie ihre Mutter immer behauptet hatte, sondern jemand, den Willie ihr ganzes Leben lang kennt, weil er ebenfalls in Templeton wohnt.
Als wäre das alles noch nicht genug, geschieht am Morgen nach Willies Ankunft etwas Unglaubliches: auf der Seeoberfäche inmitten der Stadt treibt ein riesiges, totes Seeungeheuer. Die Stadt, ach was, das Land ist in hellem Aufruhr. In diesem Tumult fängt Willie, verzweifelt auf der Suche nach Ablenkung und einer sinnvollen Aufgabe, an, nach ihrem Vater zu suchen – mit den Mitteln einer Wissenschaftlerin natürlich. Durch tagelanges Durchforsten der örtlichen Bibliothek erfährt Willie viel mehr über ihre Familie, die auf beiden Seiten vom Gründer der Stadt, Marmaduke Temple, abstammt, als sie sich erhofft hatte.
Ich würde den Roman dem Genre „Magischer Realismus“ zuordnen. Immerhin spielt ein wahrhaftiges Monster (keine subtile Metapher nebenbei) eine Schlüsselrolle.
Willie Upton ist eine kratzbürstige, aber auf ihre Art sympathische Protagonistin; zwar klug und schön, sogar mit kurzgeschorenen Haaren, aber gerade so fehlerhaft, dass man ihr diese Verzüge verzeiht. Ihre Mutter Vi ist Alt-Hippie und Neu-Baptistin und ein interessanter, warmherziger Charakter. Die Geschichte der beiden Frauen und der Menschen in ihrem Orbit zu erfahren, ist unterhaltsam und bewegend; am liebsten würde man sich zu ihnen an den lichtüberfluteten Küchentisch setzen und die ganze Geschichte aus erster Hand hören.
Die Rahmenhandlung wird immer wieder durch Kapitel unterbrochen, in denen Vorfahren von Vi und Willie in ihrer eigenen Stimme erzählen, was ihnen wiederfahren ist. Diese Stellen sind in meinen Augen die schwächsten Passagen. Groff ist eine sehr gute Erzählerin, aber die Erzählerwechsel in die Ich-Perspektive nehme ich ihr nicht bei jeder Figur ab. Zudem ist die Darstellung einer schwarzen Dienerin, die als Vamp und Verführerin dargestellt wird, problematisch und auch die Erzählungen von amerikanischen Ureinwohner*innen halte ich für eher schwierig, auch wenn ich mir da kein endgültiges Urteil erlauben möchte, da ich mich dafür mit der Thematik zu schlecht auskenne.
Diese kleinen Einschränkungen tun meiner allgemeinen Begeisterung über das Buch insgesamt keinen Abbruch: eine bis zuletzt spannende Geschichte mit faszinierenden Charakteren.
9. Gillian Flynn: Gone Girl (2012)
Letztens hatte ich wochenlang Lust, den Film Gone Girl nochmal zu gucken. Vor allem wegen der fabelhaften Rosamund Pike, derentwegen ich letztens auch I Care a Lot angesehen habe. Leider war er nirgendwo legal zu bekommen und bevor ich mir eine DVD kaufe, habe ich lieber das Buch bestellt.
Ich kann nur sagen: wow. In zwei Tagen hatte ich es verschlungen. Dabei wusste ich ja, was passiert – der Film ist sehr nah am Buch dran, immerhin hat die Autorin Gillian Flynn auch das Drehbuch geschrieben.
Die Story wird den meisten bekannt sein, immerhin waren Buch und Film Riesenerfolge: Eine Frau wird vermisst, der Ehemann ihres Mordes verdächtigt, dann dreht sich der Spieß um... Wer tatsächlich nicht weiß, was passiert, der versteht die Anspielung auf Monster im Titel dieses Blogposts vielleicht nicht. SPOILER ALERT: Ich war von der Hauptfigur so fasziniert, dass der Freund ein bisschen Angst vor mir hatte.
Ich muss zugeben: Ich habe wohl meinen Geschmack geändert. Besser: erweitert. Früher hätte ich nie einen Krimi oder Thriller gelesen. Aber jetzt...
10. Elizabeth George: Payment in Blood (1989)
...habe ich im März sogar noch ein weiteres Buch über Monster gelesen. Eins über Mördermonster.
Der zweite Inspektor-Lynley-Fall beginnt als Kammerstück auf einem schottischen Anwesen, wo sich eine Gruppe Theaterleute zum Proben versammelt hat... bis in ihrer Mitte eines Nachts die Autorin des Stücks brutal ermordet wird. Lynley und Havers ermitteln außerhalb ihrer Komfort- und Zuständigskeitszone (Schottland) und geraten (klar) bald über das richtige Vorgehen aneinander.
Leider finden sich in diesem Roman ein paar sexistische Klischees, aber die 80er sind zum Glück schon etwas länger her und obwohl ich nicht gewillt bin, zu verzeihen, so kann ich ein Werk doch im Kontext seiner Zeit betrachten. Ich fühlte mich unterhalten, nicht zu sehr gefordert, habe ein bisschen mitgefiebert. Solche Bücher lesen sich im Zug gut, habe ich festgestellt. Die Auflösung fand ich dann mittelspannend – trotzdem freue ich ich mich schon auf den nächsten Fall.
Ob ich wohl, wenn ich mehr solcher Bücher lese, eines Tages vor den Ermittlern auf den Täter komme? Ich befürchte, nein, denn ich bin beim Lesen sehr faul. Die Schriftsteller*innen sollen gefälligst die Arbeit machen – ich will mir gar nicht den Kopf zerbrechen, wer es logischerweise gewesen sein könnte.
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Kissy


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